Friederike Jokisch
„unterwegs“
Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung am 7. November 2013 in der UniCredit Bank
von Heike Geißler
Die Ausstellung der Leipziger Malerin Friederike Jokisch trägt den Titel „unterwegs“. Wenn wir sagen: Ich bin unterwegs, so meinen wir damit eine Art Zusammenfassung dessen, was sich über uns im Moment, in dem wir sagen Ich bin unterwegs sagen lässt. Wir bündeln Schauplätze und Zeiten in einen Vorgang, finden den gemeinsamen Nenner der Außenwelt und unserer Innenwelt, den gemeinsamen Nenner all dessen, was berichtet werden könnte, in unserer Bewegung. Wir sind also unterwegs, sagen wir und sind auf Reisen oder auch nicht, sind auf dem Weg von einem Geschäft zum nächsten, von einer Straßenbahnhaltestelle zum Elternabend, von der Trauerfeier zum Spätkauf, und diese Mitteilung des Unterwegsseins muss genügen, weil mehr nicht gesagt werden kann, oder mehr nicht gesagt werden soll, oder mehr nicht gesagt werden muss.
Wenngleich Friederike Jokisch manche Ideen für ihre Bilder Ausflügen oder Reisen entnimmt, ist ihr eigenes Unterwegssein für uns hier nicht von Bedeutung. Konzentrieren wir uns auf das Dargestellte und dessen Unterwegssein. Es zeigt sich (hier beispielsweise bei den Drucken) manchmal wie in der Bewegung festgehalten, also im tatsächlichen Unterwegssein, zuweilen fast stolz posierend. Bewegungen anderer Art lassen sich in den Landschaften entdecken: deren Unterwegssein ist ein abstraktes, intellektuelles. Jokisch zeigt uns Landschaften, die sich selbst behaupten und in Frage stellen, die mit sich im Gespräch sind und ihre mögliche Überformung und ihren Neuanfang aus und durch sich selbst alle Zeit thematisieren. Das sind Landschaften, sozusagen, mit geistiger Beweglichkeit.
Aber verschaffen wir uns zuerst einen Überblick:
Wir sehen Drucke aus den Jahren 2011 und 2013. Den Drucken auf Büttenpapier liegen eigene malerische Arbeiten Jokischs zugrunde. Jedes Exemplar einer Auflage wird leicht modifiziert, folglich ist jeder Druck ein Unikat. Die Drucke zeigen beispielsweise malerische Exkursionen in die Unterwasser- und Vogelwelt und muten zuweilen wie Schnappschüsse schwer zu greifender Akteure oder sich überlagernder Zeiten an. Das Zusammenfügen verschiedener Zeiten und einander ablösender Formen ist gut erkennbar im Druck „Im Wind“, aber auch im Gemälde „Kapellenberg“, das uns eine eigentlich unmögliche Landschaft zur möglichen macht.
Wir sehen des Weiteren Gemälde, die alle 2013 entstanden. Friederike Jokisch arbeitete lange ausschließlich mit Pastell auf oft großformatigem Papier. Dabei gelang es ihr, so sagte es Neo Rauch, in dessen Fachklasse sie studierte, „der Pastelltechnik einen Auftritt zu verschaffen, dem nichts der damit einhergehenden Lieblichkeit anhaftet.“ Weil das Pastell keine Überarbeitungen zulässt, verwendet Friederike Jokisch seit einigen Jahren Öl und Öl-Pastell-Kombinationen.
Inmitten von Fauna und Flora erkennen wir zuweilen Spuren menschlicher Anwesenheit, die jedoch weit in der Vergangenheit liegen, gerade erst beginnen oder die Luftpiegelung eines anderen Ortes sein könnten. In allen von Friederike Jokischs Bildern ist der Baum so wichtig wie ein Tier und das Tier so wichtig wie ein Mensch. Wir sehen keine Menschen, aber fraglos muss man nicht Menschen malen, um Menschliches zu behandeln. Zu sehen ist keine romantisierende Belebung der Natur, sondern die Überformung und Kommentierung des Menschen und seiner Spuren durch eine kluge, denkende Landschaft, durch gewitzte Tiere oder üppige Pflanzen, die sich als unseresgleichen, wenn nicht gar als wir zu geben verstehen. Wir treffen in diesen Arbeiten Charaktere, beschreibbar wie Menschen, was bei der dynamischen Qualle deutlich wird oder beim Oktopus, der sich dafür einzusetzen scheint, im Zentrum des Bildes auftreten zu dürfen oder sich auch beim Wirbelsturm erkennen lässt.
Fast alles, was in Jokischs neueren Bildern gesehen werden kann, tritt als Figur auf und vermag zu denken und zu handeln. Was wir sehen sind also Porträts von Pflanzen, Tieren, Naturphänomenen und, so wir wollen, potenzielle Portraits von uns.
Früher, so sagt Jokisch, habe sie Tiere oft übermalt, aber mittlerweile bleiben sie erhalten, sei es als Protagonisten, wie die oben zu sehenden Quallen oder als zur Disposition stehende Echsen im Bild „Wirbel“. Hier scheint die Entscheidung darüber, was im Bild bleiben darf, einer bildinternen Zukunft übergeben worden zu sein. Möglich, dass jene Echsen beiläufig, lautlos und schadlos vom Wirbelsturm aus dem Bild retuschiert werden. Friederike Jokisch bereitet hier, wie auch in „Freundliches Feuer“ Katastrophen vor, aber ist dabei nicht drohend oder mythisch oder suggestiv. Folgerichtig und sachlich stattet sie die Bilder mit allem aus, was diese benötigen, für deren eigene Handlungen und Diskussionen. Sie selbst gerät dabei völlig aus dem Blick. Und so bringt das Bild „Freundliches Feuer“ vielleicht das freundlichste aller freundlichen Feuer, die man sich vorstellen kann, auf den Punkt und zeigt sich befreit von allem, was sich zu einem kriegerischen Gefecht denken ließe und ist womöglich ein geradewegs lodernder Sonnenuntergang. Nichts und niemand wird von irgendwem hier nachher zu betrauern sein. Es geht nur um die Klarstellung der Wichtigkeiten: Die Malerin tritt durch keine These in Erscheinung, sie redigiert sich kontinuierlich selbst aus dem Bild, indem sie ihre Interessen denen des Bildes unterordnet; Farben, Formen, Zeitverläufe, Charaktere, Geschichten treten in den Vordergrund und genießen ihren Auftritt, unbeschwert durch Botschaften, aber voller Mitteilensdrang und Eloquenz.
Wir sehen bei Friederike Jokisch emanzipierte Landschaften, einzelne Tiere oder Pflanzen, die alle Entscheidungsgewalt über sich und ihre Zukunft für sich beanspruchen, die gar nicht zaghaft, sondern selbstverständlich selbstbestimmt entscheiden. Aus dem Zarten entsteht, so die Landschaft will oder so es so sein muss, ein Wirbelsturm oder ein Feuer oder eine Verdichtung von Eindrücken, Schauplätzen und Zeiten. Das Zarte schiebt, wie im Bild „Herbst“ – das durchaus als Verbindungsstück zu einer früheren, mehr auf Farben konzentrierten Schaffensphase der Künstlerin verstanden werden kann – langsam etwas von sich in die Unsichtbarkeit. Der Pavillon, dieser Beleg vergangener oder gegenwärtiger menschlicher Anwesenheit, verschwindet aus dem Bild, geht ein in den Farbgrund oder, auch das ist möglich, taucht gerade aus diesem auf, neben ihm scheint ein Wald zu wachsen oder seinerseits zu Fläche zu werden.
Friederike Jokischs Interesse gilt nicht den Befindlichkeiten und Eskalationen. Sie schafft Schauplätze des Denkens. Sie komprimiert das Unterwegssein in Raum und Zeit in Gemälde hinein, von wo aus sich Raum und Zeit neu entfalten können. Eines wurde und wird hier kontinuierlich gegen ein anderes abgewogen und ist dabei von einer Malweise getragen, die auf den anhaltenden Austausch setzt, dieses Unterwegssein im besten Sinn.