Landschaftsbrüche_Text_Regina Bärtel

Landschaftsbrüche.
(oder auch: Gebrochene Naturschönheit)
Zu den Arbeiten von Friederike Jokisch

Dramatisch glühende Alpengipfel, heroisch gen Himmel strebende Bergmassive, sich lieblich im Tal schlängelnde Flüsse – das sind die tradierten Vorstellungen von Landschaftsmalerei, die nicht zuletzt die allgemeine Rezeption von Natur und Natürlichkeit prägen. Es ist das Andere, das Unberührte, Ursprüngliche und Entgrenzte, das der kulturell geprägte Mensch in der Natur zu finden hofft. Diesen Vorstellungen begegnet Friederike Jokisch mit vielfältigen Brüchen und Verfremdungen.

„Zentrales Motiv ihrer Arbeit ist seit geraumer Zeit die Landschaft, der sie auf ihren großformatigen Blättern einen Umformungsprozess zugedeihen lässt, der unsere Aufmerksamkeit auf die Kehrseite der Beschaulichkeit und der ungebrochenen Naturschönheit lenkt. Zugleich gelingt es ihr, der Pastelltechnik einen Auftritt zu verschaffen, dem nichts von der üblicherweise damit einhergehenden Lieblichkeit anhaftet. Es macht eine der Besonderheiten ihres Zeichnens aus, dass sie eben diese Pastellkreide benutzt, um damit an den Rändern unserer Werklandschaften entlang zu spüren.“, fasst Neo Rauch, bei dem Friederike Jokisch studierte, ihren Ansatz zusammen.

Es sind die eher zurückhaltenden und vergleichsweise banalen Wellenformationen der Mittelgebirgslandschaft, die Friederike Jokisch einer genauen, ja nur allzu genauen Naturbeobachtung unterzieht. Für ihre frühen Arbeiten wurden die in freier Natur entstandenen Zeichnungen und Skizzen im heimischen Atelier zu Bildern umgesetzt, die einen hohen Grad von Realismus aufweisen. Doch gerade hier, in dieser starken, fast sezierenden Nahsicht entstand ein verfremdender Blick, der die „natürlichen“ Objekte in einer formalästhischen Auseinandersetzung auf zu Grunde liegende Strukturen reduzierte. So zeigt sich die Lithografie „o.T. (Lichtwald)“ von 2005 als grafische Faktur, die die Licht- und Schattenverhältnisse dicht stehender Nadelbaumstämme minutiös nachempfindet, in der aber das Naturhafte zu einer kühlen Linearität umgedeutet wird. „o.T. (Kreuzung)“ aus dem gleichen Jahr reduziert gar den naturhaften Anklang zum bloßen Schatten seiner selbst, wobei der Titel in einer sozusagen gentechnischen Doppeldeutigkeit das Artifizielle des in der Landschaft geschauten zu unterstreichen scheint.

Das Künstliche ist der Gegenpol des Natürlichen. Natur wird allgemein als das Lebendige, Gewachsene, vor allem aber Ursprüngliche, Ungestaltete verstanden. Natur innerhalb dieser Vorstellung ist ein autonomer Bereich, der unabhängig von menschlichen und zivilisatorischen Einflüssen existiert. Diese autonome Ursprünglichkeit jedoch findet sich heute faktisch nicht mehr. Unser Lebensumfeld wird vielmehr von einer Natur bestimmt, die sich als eingegrenztes Areal wie Park und Grünfläche oder – im größeren Stil – als Naturpark auszeichnet. Interessant dabei ist, dass diese künstlichen Landschaften sich in einer Schnittmenge zwischen Kultur- und Naturraum befinden, in der die Begrenzung und Begrenztheit zugleich als Schutz durch wie auch als Schutz vor der Zivilisiertheit des Menschen fungiert. Zugleich ist der Wald der deutschen Mittelgebirge bereits eine Kulturlandschaft des 19. Jahrhunderts und befindet sich seither in einem Status zwischen Schutz und Nutzung – wodurch die Spuren der Zivilisation von Beginn an bis heute in ihn eingeschrieben sind. Und so umgibt uns heute das, was bereits um 1800 als Schlüsselbegriff der Anthropologie, Ästhetik und Kulturtheorie auftauchte: die „zweite Natur“ als eine Natur, die irreduzibel mit der gestalterischen Aktivität des Menschen zusammenhängt, dieser aber doch auch als quasinatürliche Sphäre gegenübersteht.

In den letzten Jahren nimmt die Auseinandersetzung mit Natur und Landschaft wieder einen hohen Stellenwert im Themenrepertoire der zeitgenössischen Kunst ein. Insbesondere das Hinterfragen der tradierten Bilder von Natur, das subversive Unterwandern von Dogmen und Mystifizierungen in der Betrachtung von Natürlichkeit weicht einem Naturverständnis, das sich an aktuellen Lebensrealitäten orientiert und sie kommentiert.

In ihren aktuellen Arbeiten weitet Friederike Jokisch ihren Blick. Auf Formaten, die nun durchaus 1,5 x 2,5 m messen können, entstehen Landschaften in Pastellkreide, die weite Räume ausbilden. Räume, die zu einem fernen Horizont schweifen und Topografien von merkwürdig distanzierter Nähe und seltsam überformter Realität markieren. Sie sind keine in sich geschlossenen naturalistischen Abbildung von Welt, sind nicht real verortbar, sondern entstehen in einem künstlerischen Prozess aus Skizzen, Erinnerungsfragmenten und formalen kompositorischen Überlegungen. Auf diese Weise „entwickelt sich während der Arbeit eine Spannung zwischen Realem und Imaginärem, was zu absonderlich-bizarren Momenten im Bild führt“ (Friederike Jokisch).

Bereits der Landschaftsausschnitt dieser Arbeiten ist oftmals frappierend: Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass die Begrenzung, das Teil- und Aspekthafte betont wird. Der dargestellte Raum bildet einen Ausschnitt, der an allen seinen Grenzen anzustoßen scheint, über sie hinaus drängen möchte. In diesem Ausschnitt werden wiederum die Einschreibungen der Kultur kenntlich: Weglinien, Feldraine, systematisch in Reihen angepflanzte Bäume bilden sich als standardisierte Formen, als Muster ab.
Der sezierende Blick, der die Strukturen der zivilisatorisch begrenzten Natur freilegt und zu standardisierten Strukturen gerinnen lässt, bleibt nicht im Abstrakten. Ganz im Stil des Symbolismus sucht in „o.T. (Symbiose)“ von 2007/08 eine menschliche Gestalt daphneartig die Vereinigung mit dem Naturhaften. Und erinnert nicht die gerundete helle Fläche von „o.T. (Ebene)“ von 2008 an einen Bauch mit Bauchnabel und damit an das Urbild des Einsseins und der Leben spendenden Natur? Doch ist dies nicht zugleich eine öde, einsame Weite – mit einer unergründlich tiefen Grube, einer uneinsehbaren Höhlung, einem Moment des Unfassbaren? Ähnlich der romantischen Ironie spiegelt sich hier das Wissen um die Relativität der Wahrnehmung, um das Paradoxon von Realität schlechthin. Topografien erhalten symbolischen Charakter, können auch etwas ganz anderes bedeuten. So ist der von Friederike Jokisch eingefangene Landschaftsraum stets mit einem doppelten Boden versehen, zeigt sich im wahrsten Sinne des Wortes löchrig, unterwandert („o.T. (Vertiefung“, 2007).

Friederike Jokischs Blick in die Landschaft führt nicht zu einer Intensivierung von idyllischer Nähe, versichert dem Betrachter nicht die Schönheit der Welt. Vielmehr befreit er das Objekt „Landschaft“ von tradierten, vorgeblendeten Mystifizierungen. Nicht das Ursprüngliche, Entgrenzte einer autonom existierenden Natur ist es, das dem Betrachter hier entgegen ruft, sondern Friederike Jokisch fokussiert die Brüche und Verfremdungen einer Welt zwischen Kultur und Natur, thematisiert die Spuren der Zivilisation in der Beschnittenheit einer quasinatürlichen Sphäre. Zugleich scheint etwas wie eine Widerständigkeit der Natur, ein Trotzdem und Dennoch aus manchen Bildern hervor. Dem Mythos von Natürlichkeit wird in diesen Arbeiten zwar durch den genau beobachtenden Blick seine idealisierte Makellosigkeit genommen – doch daraus wächst bisweilen ein Eindruck von Verbundenheit und Parallelität zur menschlichen Existenz und Gesellschaft.

Regina Bärthel

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